Ethik

Miese Geschäfte mit der Schönheit

Podiumsdiskussion über Gefahren und Risiken ästhetischer Chirurgie /
Bei vielen Kunden von Schönheitschirurgen liegen psychische Probleme im Hintergrund

Brust-OP’s, Faltenglättung, Fett absaugen, Lidkorrektur, Bauchstraffung: Immer mehr Gesunde und zunehmend auch Männer legen sich freiwillig unters Messer – und nehmen zum Zwecke der äußerlichen Selbstoptimierung hohe Risiken bis hin zu Todesfällen in Kauf. Gefahren drohen v.a. durch eine Grauzone schlecht qualifizierter Schönheitsoperateure, denen Behörden und Ärztekammern schwer das Handwerk legen können. Das Problem: Der Begriff Schönheitschirurg ist nicht geschützt. Jeder Arzt kann sich so nennen – unabhängig von seiner Ausbildung und Erfahrung. Was bei all dem meist im Dunkeln bleibt: Bei 50 Prozent der Kunden liegen einer neueren Studie zufolge psychische Probleme im Hintergrund, 5 bis 15 Prozent leiden demnach gar an einer schwer wiegenden Körperbildstörung. Letzteren kann eine OP nicht helfen – daher gehören sie meist auch zu denjenigen, die sich immer wieder operieren lassen. Eine Podiumsdiskussion in Hamburg machte sich auf die Suche nach Möglichkeiten, Schönheits-Kunden besser zu schützen.

HAMBURG. Vereiterte Wunden in Folge einer Bruststraffung, ein tiefes Loch im Oberschenkel nach einer Fettabsaugung – alles andere als schön waren die Fotos, die Dr. Klaus Müller, Chefarzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie der Asklepios Klinik Wandsbek, zeigte. Der Initiator der von NDR-Moderatorin Vera Cordes („Visite“) geleiteten und vergleichsweise mager besuchten Diskussion im Mariott-Hotel erklärte, dass in seinen Arbeitsbereich 70 Prozent rekonstruktive Chirurgie und 30 Prozent ästhetische Maßnahmen wie besonders oft Straffungs-Op’s nach starker Gewichtsabnahme fallen. Daneben werde er immer häufiger von Patienten aufgesucht, die an den Folgen misslungener Schönheitsoperationen leiden.
Als Risiken dafür nannte er: mangelhafte Ausbildung, Operation durch fachfremde Ärzte, schlechte oder gar keine Überwachung nach dem Eingriff, zu wenig Personal, zu kleine Räume. „Es geht ums Geldverdienen“, fasste er zusammen. Dabei kann sogar das Leben auf der Strecke bleiben. Eine Untersuchung Bochumer Mediziner ergab: Für den Zeitraum 1998 bis 2002 wurden 66 Patienten ausfindig gemacht, die nach einer Fettabsaugung auf Intensivstationen um ihr Leben kämpften. 16 starben. Auf 30 bis 50 Todesfälle im Jahr wurde die Zahl der Todesopfer in Folge von Fettabsaugungen in einem Spiegel-Bericht im Jahr 2004 entsprechend damals geschätzter 150.000 bis 250.000 jährlich in Deutschland durchgeführter Liposuktionen hochgerechnet. Häufigste Komplikationen: Vergiftungen, Sepsis.
So segensreich die Leistungen der rekonstruktiven und plastischen Chirurgie sind, wenn es etwa um den Wiederaufbau von Brüsten nach Krebsoperationen, Korrektur von Unfallfolgen oder das Schließen von Dekubituslöchern geht, so obskur ist der Bereich der ästhetischen Chirurgie, der sich außerhalb qualitätsorientierter und geprüfter Bereiche abspielt. Kaum Forschung, kaum Zahlen. Ästhetische Chirurgie werde nicht beplant, so Elke Huster-Nowack von der Gesundheitsbehörde. In der Hansestadt gebe es über 50 teils Kleinst-Kliniken für Schönheitschirurgie mit Gewerbekonzession. Die Angaben, wie viele Operationen bundesweit stattfinden, schwankten zwischen 120.000 und 520.000 im Jahr. Immer mehr scheuen kein Risiko, trotz diverser Klagen und Presseberichten über misslungene Op’s. Von den regulären Gefahren bzw. Folgen eines operativen Eingriffs ganz zu schweigen. Zuletzt in der Diskussion: fehlerhafte Brustimplantate, die weltweit 100.000de Frauen in Angst versetzten.
Doch was veranlasst zunehmend Menschen, sich ohne Not unters Skalpell zu legen? Diplom-Psychologe Michel Thiele gab den Medien und der Modewelt eine Mitschuld und forderte den Einschluss psychologischer Aspekte in Fortbildungen. Mode steckt auch hinter dem laut Dr. Aglaja Stirn am meisten gewachsenen Segment: Schamlippenkorrektur. „Das hat mit der Intimrasur zu tun, die die Blicke auf diesen Bereich zugänglich macht“, sagte sie. Ansonsten ist die Antwort nicht allein im außen zu finden, machte die Privatdozentin und Chefärztin der Psychosomatik im Asklepius Klinikum West Rissen deutlich. Oft, bei geschätzten 50 Prozent, lägen innere Probleme im Hintergrund und die Hoffnung, durch eine OP belohnt zu werden, mit schöneren Brüsten etwa mehr geliebt zu werden. Dabei werde eine nicht gute Partnerschaft auch durch eine OP nicht besser. Ganz schwierig wird es bei einer Dysmorphophobie (aus dem altgr. dys ‚schlecht‘ und morphé ‚Form‘ sowie phóbos ‚Furcht) bzw. der so genannten Körperschemastörung, unter die auch die Magersucht fällt: Dabei nehmen Betroffene ihren Körper ganz anders wahr als ihre Umwelt, nämlich als makelhaft. So ist auch erklärbar, dass sich zu Skeletten abgemagerte Frauen zu dick fühlen. Bei bis zu 15 Prozent der Schönheits-Operationen liege eine falsche Eigenwahrnehmung zu Grunde. so Stirn. Und weil sich hinterher nichts bessere, kämen diese Menschen auch immer wieder. Dabei sollten sie bei genereller Körperunzufriedenheit lieber zur Beratung, zum Beispiel zu Dr. Aglaja Stirn, gehen bzw. dorthin überwiesen werden, sagte sie. Das zahle die Kasse.
Misslungene Operationen gehen v.a. auf Kosten der Patienten. Die Approbation sei in den letzten Jahren in Hamburg niemandem entzogen worden, so Huster-Nowack. Auch die Ärztekammer hat nach Darstellung ihrer Vertreterin Dr. Annemarie Jungbluth Schwierigkeiten, tätig zu werden.

Internetversteigerung: Brustvergrößerung für 2,57 Euro

Er setzt laut Dr. Annemarie Jungbluth auf Mindeststandards wie Haftpflichtversicherung, bestimmte Fallzahlen und Facharztausbildung sowie auf darauf basierender freiwilliger Selbstkontrolle mit Patientenfeedback im Internet, woran seit einigen Monaten gearbeitet werde. Dabei sollen stichprobenweise auch Praxen inspiziert werden.
Eine andere Form der Qualitätssicherung bietet die Schweizer Firma Acredis. Sie wirbt im Netz mit „Europas härtestem Ärztecheck für beste ästhetische Chirurgie“ und testet derzeit auch die Wandsbeker Abteilung von Dr. Müller. Was sich hinter Acredis verbirgt, erläuterte Stephan Haegeli: Für ein Zertifikat würden 300 Kriterien überprüft, darunter Aus- und Fortbildung, Fallzahlen sowie nachgewiesene Patientenzufriedenheit. Das Ganze sei eine Investition, und freiwillige Transparenz sage viel aus. Eigentlich suchten Patienten keine ISO zertifizierte Klinik, sondern einen guten Arzt. 70 Prozent täten dies über das Internet. Und letzteres sei ein Dschungel.
Wie auch das Spektrum der OP-Angebote an sich. Die Preispalette ist breit. Bei Brustvergrößerung reiche sie z.B. von 5000 bis 7000 Euro, so Christoph Kranich von der Verbraucherzentrale. Die Deutsche Gesellschaft der Plastischen, Rekonstruktiven und Ästhetischen Chirurgen (DGPRÄC) warnte Ende vorigen Jahres vor stark rabattierten Weihnachtsangeboten für z.B. Brustvergrößerungen und Fettabsaugung auf Online-Gutscheinplattformen. Diese würden Patienten dazu verleiten, „sich für einen ästhetischen Eingriff zu entscheiden, den sie ohne dieses Angebot unter Umständen gar nicht in Betracht gezogen hätten und dabei die Risiken auszublenden“, so DGPRÄC-Präsident Prof. Dr. Peter M. Vogt. 2010 ließ eine Hamburger Schönheitsklinik gar eine Brustvergrößerungs-OP über eine Internet-Plattform versteigern: Der Zuschlag wurde für 2,57 Euro erteilt! Die Verbraucherzentrale warnte damals vor Schönheitsoperationen: Diese seien zumeist unnötig und risikoreich.
Wieder andere lassen sich durch günstigere Preise zu OP’s in Ausland locken. Da kann Christoph Kranich nur abraten, außer, wenn es für eine Nachbehandlung eine Kooperation mit einer Klinik in Deutschland gebe. Andernfalls müsse man sich bei Problemen sonst nach ausländischem Recht streiten.
Sein grundsätzlicher Rat: Bei Auswahl eines Arztes darauf achten, ob er den Titel „Plastische Chirurgie“ oder „plastische Operationen“ führt und Mitglied einer der Gesellschaften für plastische Chirurgie ist.
Er bedauerte, dass sich bei der Verbraucherzentrale nur die Menschen melden würden, bei denen eine Operation schief gelaufen ist. Und warnte: Selbst wenn einem Patienten von einem Gericht Schmerzensgeld oder Schadensersatz zugesprochen werde, sei nicht gesagt, dass das Geld auch fließe. Etwa, wenn der Arzt so unseriös gearbeitet hat, dass er bereits keinen Versicherungsschutz mehr hat und in die Insolvenz gegangen ist.
Es mangele bereits bei der Beratung. Seine Organisation hat im vorigen Jahr die Beratungsqualität von Schönheitschirurgen getestet. Eine junge Frau mit „perfektem Busen“ wurde testweise zu 26 Fachärzten für plastische und ästhetische Chirurgie in sieben deutschen Städten geschickt. Ergebnis: Kein einziger Arzt erfüllte alle Anforderungen an eine umfassende Aufklärung (über Motivation, wirtschaftliche Kosten und mögliche Nachfolgekosten – die die Kassen nicht vollständig bezahlten –, sowie medizinische Risiken und Folgen). 80 Prozent berieten schlecht. Kranich forderte die Fachgesellschaften zu Qualitätssicherung auf und die Wissenschaft zu Forschung. Zudem sprach er sich für eine zentrale Fall- bzw. Beschwerdesammlung aus, der aber derzeit der Datenschutz entgegen stehe.
Doch es gibt auch die andere Seite: Patienten, bei denen eine Operation Sinn macht und denen es hinterher tatsächlich besser geht. So wie die Patientin, die ebenfalls mit am Podiumstisch saß. Mit 18 Jahren begann sie über mehrere Jahre 50 Kilo abzunehmen. Bis sie am Ende im Spiegel einen „Körper wie eine alte Frau“ sah. „Fast depressiv“ habe es sie gemacht, dass sie ihren Körper als schlimmer als vorher empfand. Acht Jahre habe sie über eine Bauchdecken- und Bruststraffung nachgedacht. Ein Antrag auf Finanzierung durch die Krankenkasse wurde als „rein kosmetisch“ abgelehnt. Zum MDK-Gutachter wollte sie nicht: „Mich dort auszuziehen habe ich als unzumutbar empfunden.“ Vor zwei Monaten ließ sie sich auf eigene Kosten operieren, deren Höhe sie nicht angeben mag. Ja, sie sei nun zufrieden, sagte sie.

— Anke Hinrichs, Originalveröffentlichung Januar 2012