Film

Wahre Helden: Die Rückkehr des Karl Schmidt

Der labile Freund von „Herrn Lehmann“ auf Techno-Tour

Charly Hübner, Foto: © DCM / Gordon Timpen

Früher war Karl (Charly Hübner, Foto: © DCM / Gordon Timpen) der beste Freund von „Herrn Lehmann“. Autor Sven Regener hat Karls Geschichte weitergesponnen. Ende August kommt „Magical Mystery“ ins Kino. Erzählt wird, wie Karl, der inzwischen in einer drogentherapeutischen WG lebt, Techno-DJ’s durch Deutschland kutschiert. Was ihn unentbehrlich macht: Er muss ja nüchtern bleiben.

Karl ist groß, die Haare sind lang und zottelig, der Körper wuchtig. Einst schweißte der ehemalige Künstler Skulpturen aus Altmetall. Bis er am Tag der Maueröffnung „in die Klapse“, ins Berliner Urban-Krankenhaus eingeliefert wurde, nachdem er mehrere Nächte nicht mehr geschlafen und seine Kunstwerke eigenhändig zertrümmert hatte. Ins Krankenhaus brachte ihn in dem gleichnamigen Romandebüt „Herr Lehmann“ persönlich. Einst fungierte Karl Schmidt nämlich als bester Freund der von Sven Regener geschaffenen Kultfigur. Die gleichnamige Verfilmung heimste mehrere Preise ein. Etwas verwirrend: Damals wurde Karl von Detlev Buck gespielt. Der ist auch im neuen Film „Magical Mystery oder die Rückkehr des Karl Schmidt“ an Bord, aber als Plattenlabel-Sprachrohr Ferdi – während Karl von Charly Hübner (u.a. „Polizeiruf 110“) gespielt wird, der der Figur einen großartigen, wunderbaren tragisch-komischen Glanz verleiht.
In Magical Mystery – wieder aus der Feder von Regener, der Buch und Drehbuch verfasste – wird Karls Geschichte Mitte der 90er fortgesetzt. Der ehemalige „Multitox“ arbeitet inzwischen als Hausmeister-Gehilfe im Kinderkurheim Elbauen und lebt in einer drogentherapeutischen-WG in Hamburg-Altona. Herrliche WG-Szenen, von denen man gern mehr gesehen hätte, werden dominiert vom Zusammenspiel Karls mit Werner alias Bjarne Mädel („24 Wochen“, „Tatortreiniger“), dem WG-Betreuer oder Therapeuten. Werner muss zur Supervision und verschickt Karl kurzerhand zur Kur Richtung Uelzen, damit er nicht auf dumme Drogengedanken kommt ... Doch Werner hat die Rechnung ohne Raimund Schulte gemacht, einstiger Bandkollege aus Karls früherer Band Glitterschnitter, der jetzt das Techno-Label Bumm Bumm-Records betreibt. Per Zufall trifft Raimund im Altonaer Eiscafé Romantica auf Karl Schmidt. Der erklärt ihm kurz, was los ist in seinem Leben oder auch nicht und wie das mit den Pillen ist, die eben gar nicht so toll sind, weil sie keine Freude bringen („Ich hatte keine Lust Raimund Schulte zu erzählen, wie fett ich von den Pillen geworden und wie grau alles gewesen war und dass die Dinger mich impotent gemacht hatten und wie ich mich über nichts mehr hatte aufregen oder freuen können. Jetzt war zwar immer noch alles grau, aber das hatte mehr mit Hamburg-Altona zu tun“, heißt es im Buch).
Aber es muss ja nicht Altona bleiben. Karl Schmidt hat einen großen Vorteil: Er muss nüchtern bleiben und wird daher als Fahrer für die Bumm Bumm-DJs und ihre Magical Mystery Tour engagiert. Die ist benannt nach einem gleichnamigen Konzeptfilm der Beatles. Karls neuer Job: zehn DJs im Kleinbus kreuz und quer durch Deutschland chauffieren, ihren Drogenkonsum überwachen und sie morgens zeitig aus den Clubs holen und mit auf die Reise nehmen. Und das alles ohne Drogen – aber mit Kaffee und Zigaretten ohne Ende ...
Es folgt eine Art Techno-Roadtrip, in dessen Verlauf sich der psychisch labile Ex-Künstler, der zwischendurch auch schon mal wieder anfängt Stimmen zu hören, zum Fels in der Brandung entwickelt. Und sich verliebt. In Techno-DJane Rosa. Soll er nach Stationen in Bremen, Köln, München, Hamburg, Schrankenhusen-Borstel (Gig in einer Behindertendisco) einfach wieder zurück in die Hamburger Drogen-WG? Oder doch zu Rosa nach Berlin? Soll man wirklich dahin zurück, wo man schonmal war und irre geworden ist?, fragt Karl Rosa. „Die andere Hälfte kennst Du doch noch gar nicht“, antwortet diese. Und so begreift Karl am Ende, „dass sie ja direkt neben der alten noch eine neue Stadt aufgemacht hatten, in der ich noch einmal von vorne anfangen konnte“. So heißt es im Buch. Magic!

— Anke Hinrichs, Originalveröffentlichung Juli 2017